Montag, 11. Januar 2010

Ethik in der Ernährung

Ein hervorragender Artikel in der Süddeutschen!
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Ethik in der Ernährung

Nicht Fisch! Nicht Fleisch!

Von Petra Steinberger

Welthunger, Massentierhaltung, Kohlendioxid-Problem, überfischte Meere - warum wir unsere Ernährung endlich umstellen müssen. Ein Abschied vom Fleisch.

Essen ist Privatsache. Ist unsere persönliche Angelegenheit. Nie waren wir so frei in der Wahl unserer Nahrung. Und damit in der Wahllosigkeit. Wir können essen, was, wie und wie viel wir wollen. Wer an keiner Religion hängt, muss sich nicht einmal mehr an Speisegebote halten.

Mit der Entdeckung des Garens von Nahrung, mit Ackerbau und Viehzucht haben wir uns aus unserer Machtlosigkeit gegenüber der Natur befreit. Die Erkenntnisse und Technologie der Neuzeit haben uns schließlich von der ständigen Bedrohung durch Hungersnöte erlöst. Zumindest den Teil der Menschheit, der in den reichen Staaten der Erde lebt.

Menschen sind Omnivoren. Allesfresser. Aber weil wir in den ersten hunderttausend Jahren der menschlichen Evolution und der Nahrungsknappheit gelernt haben, uns so viel und so schnell wie möglich Energie zu holen, sobald sie zu haben ist, lieben wir: Fleisch. Fleisch ist eine grandiose Energiequelle, flüstern uralte Instinkte, und Energie ist gut. Macht uns schnell. Stark.

Klüger als die Tiere. Macht uns zum Homo sapiens. Inzwischen brauchen wir kein Fleisch mehr, um zu überleben. Aber tief in unserem Innersten wollen wir es bis heute, um die Löwen zu überlisten. Wir grillen und rösten und braten es. Wir räuchern und pökeln es. Wir nehmen es bleu oder medium oder well done. Der Rest ist Beilage. Den Ärmeren ließen wir Reis und Hirse und Sorghum. Wir wollten Fleisch. Das bekamen wir. Weit sind wir gekommen und fett geworden. Nur ist es inzwischen keine Privatsache mehr, was und wie viel wir essen.

Es wird Zeit, sich vom Konsum von Tieren zu verabschieden. Oder, allerwenigstens, von den unglaublichen Mengen und Massen, in denen wir sie verschlingen.

Globale Massenausrottung

Wir riskieren das Leben auf diesem Planeten, das ökologische Gleichgewicht, und ganz oben bei den Schuldigen steht unser Fleischverzehr. Der Konsum getöter Land- und Wassertiere. Wir werden ihn einschränken müssen, drastisch. Ihn vielleicht ganz aufgeben. Das gilt nicht nur für Rind, Schwein oder Geflügel. Es gilt genauso für Fische; und langfristig wohl auch für die Menge und Art, in der wir tierische Produkte insgesamt gebrauchen.

Ob Bodenerosion, Luftverschmutzung, Wassermangel und Trinkwasserverseuchung, Verlust der Biodiversität und Erderwärmung: "Viehhaltung", heißt es in einem Report der Vereinten Nationen, "stellt sich als einer der zwei oder drei wichtigsten Verursacher unserer größten Umweltprobleme heraus." Und was internationale Fischfangflotten innerhalb weniger Jahrzehnte in den Ozeanen angerichtet haben, muss als globale Massenausrottung bezeichnet werden. Manche Kritiker halten die Fischerei mit modernen Technologien für die zerstörerischste Aktivität, die zur Zeit auf unserer Erde stattfindet.

Seitdem es richtig begann mit der totalen Industrialisierung tierischer Nahrung, mit Massenproduktion, Massenfang und Massenschlachtung von Vieh und Geflügel und Fisch, wächst der weltweite Fleischverbrauch. Allein in den letzten dreißig Jahren hat er sich verdreifacht. Ein Deutscher verzehrt heute pro Jahr und Kopf 88,7 Kilo Fleisch und Fisch, ein Amerikaner 123 Kilo. Ein Inder hingegen nimmt jährlich 5,2 Kilo zu sich. Noch. Das ändert sich rasch.

Je schneller wir handeln, desto besser. Falls das nach einem Aufruf zum Vegetarismus klingt, ist das beabsichtigt. Doch auf die Gefahr hin, dass echte Vegetarier jetzt aufschreien: Wir wären auch mit Pescetariern zufrieden. Oder Flexitariern, Wochenendvegetariern also, die hauptsächlich fleischlos leben oder immer wieder und dann manchmal eben doch nicht anders können als rückfällig zu werden. Alles ist besser, als so weiterzumachen. Wie ein Tsunami ertränken die Folgen der Fleischeslust uns selbst, die Menschen, die Tiere, die gesamte Erde.

Die Skrupel haben wir längst verdrängt

Wiewohl in den letzten Jahren immer mehr Menschen ihren Fleischverbrauch vor allem aus Gründen der eigenen Gesundheit reduziert haben, kann die Befindlichkeit unseres Körpers nur als privates Argument für den Fleischverzicht gelten - abgesehen vielleicht von manch nicht unerheblichen Kosten für das Gesundheitssystem. Unser Körper ist zwar für den Fleischgenuss ausgelegt - aber nicht in diesen Mengen.

Nicht mehr ganz so privat ist, mit welchen Mitteln und mit welchen Folgekosten wir die ungeheuren Mengen an Fleisch und Fisch erzeugen, um unsere Gier danach zu befriedigen - Hunger kann man das nicht mehr nennen. Für diese Gier werden weltweit jährlich 53 Milliarden Landtiere geschlachtet, oft nach Lebensumständen, die wir unseren Haustieren niemals zumuten würden.

Der Skrupel, den die ersten Zivilisationen bei der Tötung von Tieren empfanden und den sie durch Rituale aufzufangen suchten, haben wir längst verdrängt. Vielleicht weil wir einen neuen Namen für diese biologische Lebensform gefunden haben: Vieh. Das klingt weniger nach Tier. Weniger nach Lebewesen.

Würden wir unsere Hunde grillen?

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wird Vieh für den Genuss der industrialisierten Welt fast ausschließlich in Massentierhaltung aufgezogen, in Fleischfabriken. Was dort vor sich geht, ist oft beschrieben worden und wird stets verdrängt. Tiere stehen in ihrem Kot, leben in ewiger Dunkelheit, Kälber werden der Mutter weggenommen, die Milch und noch mehr Milch produzieren muss, Schnäbel, Hörner, Schwänze, Hoden werden routinemäßig ohne Betäubung entfernt. Fische sind von Geschwüren übersät, werden von ihren Artgenossen erstickt und kannibalisiert, Rinder, Schweine, Vögel werden mit gebrochenen Gliedern zur Schlachtbank gezerrt, schwitzen Todesangst, sind oft nicht einmal tot, wenn sie aufgeschnitten, gerupft, in kochendes Wasser geworfen werden.

Das Präfix "Bio" ist zwar wünschenswert, bleibt aber auf die Masse gerechnet bisher nur ein Detail. Um jede Verbesserung in der Viehhaltung muss gerungen werden, denn in der Massenproduktion von Fleisch und Fisch geht es um Profit, und wenn wir es nicht machen, dann macht es ein anderer. Immer billiger. BSE und Gammelfleisch waren schnell vergessen. Und so kommt es, dass einerseits auf jeden von uns in der entwickelten Welt inzwischen rund 80 Kilo Fleisch und Fisch pro Jahr entfallen, dass andererseits hinter jedem Kilo Billigfleisch und Billigfisch ein meist unnatürlich kurzes und schmerzvolles Tierleben steht, das in Todesangst endet.

Die Intelligenz der Tiere wird verdrängt

Das kann heute jeder wissen. Und tatsächlich wird immer öfter gefragt, ob das Tier vor seiner Schlachtung auch ein einigermaßen gutes Leben hatte. Ein "artgerechtes", "humanes" Leben. "Ohne unnötige Schmerzen und Leiden", wie es im deutschen Tierschutzgesetz steht. Die Betonung liegt auf unnötig. Das impliziert allerdings, dass Schmerzen und Leiden offenbar nicht ganz zu vermeiden sind. Hier hören die meisten Menschen mit dem Fragen auf. Denn die Antworten auf die letzten Fragen: Wie es um die Tötung an sich steht? Ob sie überhaupt zu rechtfertigen ist? - diese Antworten würden von uns Konsequenzen einfordern.

Tiere können fühlen und empfinden, nicht nur die Primaten, inzwischen machen Forscher kognitive Studien an Gänsen. Ihre Intelligenz? Man verdrängt sie. Es sind doch nur Tiere. Sie sind nicht wie wir. Sie haben keine Vergangenheit und keine Zukunft. Ohne uns und unsere Fürsorge gäbe es Nutztiere ja gar nicht. Unsere Erhebung über Lebewesen, die Schmerz und Zuneigung und Angst empfinden wie wir, ist geradezu eine psychologische Meisterleistung.

Es gibt sie, die nicht wegsehen konnten. "Auschwitz fängt da an, wo einer im Schlachthof steht und sagt, es sind ja nur Tiere", meinte Theodor W. Adorno. Und Franz Kafka sagte, als er schließlich zum reinen Vegetarier geworden war, beim Anblick von Fischen in einem Aquarium: "Nun kann ich euch in Frieden betrachten, ich esse euch nicht mehr." Es ist vielleicht auch dieses unterdrückte, aber stets latent lauernde Wissen, dass wir nur zum Töten produzieren, welches so viele Diskussionen zwischen Fleischessern und Vegetariern aggressiv werden lässt.

Irgendwo spüren wir, dass da etwas nicht ganz richtig ist in unserer Art, Tiere allein als Nahrungsquelle zu produzieren. Wir sind eben doch etwas mehr als Tiere, die andere um des eigenen Überlebens willen fressen. Wir kennen Schuld, wenn wir sie spüren.

Was macht den Unterschied zwischen Schwein und Hund?

Langsam findet ein Umdenken statt. Eine Reihe provokanter, schockierender Bücher, Essays und Filme haben sich in der letzten Zeit mit diesem Thema auseinandergesetzt: "The End of the Line" über die Vernichtung des Lebens in den Weltmeeren durch die Fischerei. "The Face on your Plate" des Psychologen und Veganers Jeffrey Moussaieff Masson über die industrielle Massentierhaltung und unsere ethische Verantwortung dafür; immer noch lesenswert Josef Reichholfs "Der Tanz um das goldene Kalb". "Unterschiede in der Intelligenz zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Tieren haben überhaupt keine moralische Bedeutung", argumentiert der amerikanische Philosophieprofessor und Veganer Gary Steiner. Man muss nur einmal den Begriff "Vieh" durch "Haustier" ersetzen.

Würden wir unsere Hunde grillen? Das fragt der Schriftsteller Jonathan Safran Foer in seinem Buch "Eating Animals", einer essayistischen Provokation. Das würden wir nicht. Warum eigentlich nicht? Schweine sind mindestens so klug wie Hunde. Was macht also den Unterschied aus? Die Intelligenz sicher nicht. Unser unterschiedliches Empfinden gegenüber dem einen und dem anderen Tier? Das reicht nicht als Rechtfertigung.

Wer nun das Wohlergehen von Tieren zwar bejaht, aber dennoch der Meinung ist, dass sie bioethisch gesehen weiter dem menschlichen Verzehr dienen können, vorausgesetzt, ihnen wird möglichst wenig Leid zugefügt - der muss sich zumindest mit dem menschlichen Elend befassen, das die ständig wachsende Fleischproduktion auslöst. Eine Milliarde Menschen auf der Erde hungert. Und in den nächsten Jahren wird, weil nichts geschieht, es wohl noch schlimmer werden. Das liegt nicht allein am Fleischkonsum, aber doch zu einem großen Teil.

Heute werden laut einer Studie der Welternährungsorganisation FAO rund 30 Prozent des eisfreien Landes auf der Erde direkt oder indirekt für die Viehzucht genutzt; ein Großteil der weltweiten Getreide- und Sojaernte wird zu Viehfutter verarbeitet; über 90 Prozent der Amazonas-Rodungen seit 1970 dienten der Neuschaffung von Weideland. Und in den nächsten 40 Jahren wird die Weltbevölkerung um ein Drittel steigen.

Die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen wird um 70 Prozent wachsen und die nach Fleisch wird sich auf 465 Millionen Tonnen verdoppeln. Die Tiere, aus denen wir unser Fleisch gewinnen, werden 2050 so viel pflanzliche Nahrung zu sich nehmen wie vier Milliarden Menschen. Doch um diese Menge zu erzeugen, wird es nicht mehr genug Land oder Süßwasser auf der Welt geben. In einigen Regionen ist das heute schon so. Da ist Fleischkonsum keine Privatsache mehr.

Schließlich wird die Verelendung ganzer Völker und Nationen auch durch die Zerstörung der Umwelt ausgelöst, durch Umweltverschmutzung, unsauberes oder mangelndes Wasser, Erderwärmung. Und auch hier spielt die Gier nach frischtoten Tieren eine Rolle, denn eine erschreckende Zahl macht seit kurzem die Runde: 51 Prozent! Bisher nahm man an, dass Viehhaltung für etwa 18 Prozent der Klima erwärmenden Gase verantwortlich sind, diese Zahl gaben die UN vor drei Jahren in ihrer wegweisenden Studie "Livestock's Long Shadow" heraus.

Fleisch in-vitro - ohne Lebensgeist und ohne Methan

Jetzt hat das renommierte World Watch Institut eine neue Zahl veröffentlicht: Für mindestens 51 Prozent ist der von Menschen für den menschlichen Konsum geschaffene Tierbestand verantwortlich - wenn man neben dem von den UN unterschätzten Methan auch Abholzung und Atmung einberechnet. Das ist nun überhaupt keine Privatsache mehr.

Wir rechnen nach und wenden ein, dass auf jeden, der heute zum Vegetarier konvertiert, vier Menschen in ärmeren Teilen der Welt kommen, die, sobald sie genug Geld verdienen, zum regelmäßigen Fleischkonsumenten werden. Aus Trotz lesen wir Zeitschriften wie Beef, wo wir lernen, wie man Kobe-Rinder noch schmackhafter zubereiten kann. Denn was bewirkt der Verzicht des Einzelnen außer einem privaten guten Gewissen?

Wissenschaftler forschen nach Wegen, Fleisch in-vitro zu züchten. Ohne Lebensgeist und ohne Methan. Das wäre die richtige Lösung für Wissenschaftsgläubige, am Ekeleffekt müsste man wohl noch arbeiten. Wir könnten auch Abolitionisten, Suffragetten, Apartheid-Gegner fragen, wie sie begannen, die Gesellschaft zu verändern.

Wir könnten nach Indien schauen, wo Kühe bis heute heilig sind. Eine der großen anthropologischen Theorien erklärt das damit, dass das Land schon vor dreitausend Jahren mit Hungersnöten kämpfen musste. Nur Bauern, die ihre Kühe in solchen Zeiten nicht schlachteten, hatten später Milch und Pflugochsen. Nur sie überlebten. Die Priester kodifizierten diese Überlebensstrategie zum Tabu. Es hält bis heute.

Gelüste bleiben. Aber ihre Akzeptanz kann verändert werden.

Wir brauchen neue Tabus.

Quelle: http://www.sueddeutsche.de/leben/264/499540/text/

2 Kommentare:

  1. Der Vergleich mit Auschwitz ist GESCHMACKLOS!!

    Hat sich eigentlich einer mal von Ihnen Gedanken darüber gemacht, wie die Menschen dort und anderswo gelitten haben? Unter welchen Bedingungen sie gestorben sind? Das hat mit der Tierhaltung NICHTS zu tun.

    Wenn Sie schon meinen Protestieren zu müssen, tun Sie es mit Pietät denen gegenüber die die Hölle auf Erden erlebt haben!

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  2. Und zu der Meinung können Sie namentlich nicht stehen? Der Vergleich mit Auschwitz verharmlost nicht das Leid der Menschen, die einen grausamen Tod gestorben sind, sondern stellt das der Tiere auf eine Stufe, die die Tiere verdient haben! Tiere leiden nicht weniger als Menschen. Und das, was Tiere in der Massentierhaltung und in Schlachthöfen erleben müssen, ist die Hölle für sie. Daher ist der Verlgeich mitnichten weit hergeholt!

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